Eine Gefährtin auf meiner Heilungsreise, deren intelligente und eloquente Ausführungen mir immer großen Genuss bereitet haben erzählte eines Abends, ihr achtjähriger Sohn habe Verhaltensweisen eindeutig pubertärer Widerspenstigkeit an den Tag gelegt. Daraufhin habe sie ihm folgenden Vortrag gehalten: »Mein lieber Sohn, Menschen haben genau einmal in ihrem Leben das Recht für fünf Jahre schwierig zu sein. Man nennt das Pubertät. Wenn Du jetzt damit anfangen möchtest, dann ist Deine Zeit abgelaufen wenn Deine Klassenkameraden damit anfangen. Wie lautet deine Entscheidung?« Er entschied sich zu warten.
Heute habe ich Krokus- und Schneeglöckchenzwiebeln in Blumentöpfe gesteckt. Manche streckten ihre Keime schon völlig keck ins Freie, ungeachtet dessen ob sie nun Erde um sich rum haben oder — wie in unserem Fall — noch nicht. Im März oder April sollen sie dann erblüht sein, sagt die Begleitinformation. Ich stelle mir vor ich wäre so eine Blume und würde jetzt beschließen dass ich ans Licht will. Als Bote vor dem Frühling her, sozusagen. Vielleicht ist oben noch Schnee. Na ja. Oder sogar Eis. Oha. Also ans Licht nach der Devise »durch- oder abbrechen«. Diese Mit-dem-Kopf-als-Steinbrecher-Mentalität sagt man ja auch den Frühlingskindern im Sternzeichen Widder nach.
Mein erstes Kind sollte Widder werden. Gegen Ende des achten Monats meiner Schwangerschaft hatte meine Hebamme festgestellt, dass mein Kind sich wieder mit dem Kopf nach oben gedreht hatte und mich darauf vorbereitet, dass sie bei einer Erstgebärenden keine Hausgeburt mit einer Steißlage machen würde. Sogar das Wort Kaiserschnitt erwähnte sie. Ich war verzweifelt. Wegen Rückenschmerzen suchte ich regelmäßig einen Alexandertechnik-Lehrer auf. Er — oder besser: er und seine Frau — waren auch schwanger, circa 3 Wochen weiter als ich. Er tröstete mich. Er kenne einen Rentner in Utrecht, der veranlasse die Kinder sich zu drehen, während er mit der Mutter bei einer Tasse Tee »over koetjes en kalfjes« — also über Belanglosigkeiten plaudere. Für fünfzig Gulden cash and carry.
Auf der Rückfahrt im Auto, den Kopf des Kindes dort wo mein Herz hätte sein sollen und mein Herz so unter meinem Kehlkopf, dass der sich gerne etwas Platz in Richtung Mundhöhle verschafft hätte fühlte ich so etwas wie Wut. Ich hielt auf dem nächsten Parkplatz an und schüttete die folgende Rede — mit purer Gedankenkraft — in meinen zum Platzen gespannten Bauch: »Mein lieber Sohn (im fünften Monat hatte ich seinen Namen geträumt und war einfachheitshalber von da an davon ausgegangen dass es keine Tochter sein würde), du kannst das nicht wissen, aber ich habe eine Krankenhausphobie und überhaupt ist Gebären keine Krankheit. Deshalb will ich dich zuhause auf die Welt bringen. Wenn du allerdings weiterhin entschlossen bist, die Sache auf deine Weise anzugehen gebe ich die Verantwortung für die Geburt ab, mit allen Konsequenzen, und wir sprechen uns wieder, wenn alles vorbei ist.«
Klare Worte. Noch auf dem Parkplatz begann er sich zu drehen. Ich musste aussteigen, es zerriss mich schier und ich konnte eine Dame nur mühsam davon abbringen, an Ort und Stelle einen Krankenwagen zu rufen. Die Hebamme fragte mich bei der nächsten Untersuchung, wie ich es geschafft hätte diesem Kind den Raum zu geben, sich noch einmal zu drehen.
In den darauffolgenden zwanzig Jahren hat sein Freiheits- und Abenteuerdrang öfter nochmal dieses Muster strapaziert, bis er den jeweils richtigen Ausgangspunkt für die nächste Entwicklungsaufgabe gefunden hatte. Irgendwie hat mir diese erste Erfahrung geholfen, jeweils noch einmal daran zu glauben, dass mein Mutterherz weder zerreißen noch stehen bleiben würde.
Demnächst steht hier mehr zu diesem Thema …