Jemand auf den weder die Zuschreibung »Freunde« noch »Familie« zutrifft, hat mein blog gelesen! Damit will ich sagen, jemand der nicht im Verdacht steht lieb zu mir sein zu wollen. Sie findet ihn gut. Und an­schlie­ßend hat sie mich gefragt, was denn nun eigent­lich Kon­struk­tivis­mus sei. Also da ist dann ja wohl was schief gegangen, denn abgesehen davon dass man das bei Wikipedia nachlesen kann wollte ich eigentlich, dass man das sozusagen zwischen den Zeilen herauslesen kann.

Eine typisch konstruktivistische Frage wäre z.B.:

»Was ist ein Problem das keiner hat?«

Als Konstruktivistin bin ich mir bewusst dass ich nicht weiß wie etwas ist. Sondern dass ich eine Vorstellung davon habe wie es vermutlich ist oder wie es sein könnte. Und ich gehe davon aus dass andere Menschen sich ebenfalls eine Vorstellung davon machen wie Dinge sind und dass ich aber wiederum nicht weiß wie ihre Vorstellung von den Dingen aussieht, denn ich kann ja nicht in ihren Kopf schauen. Sondern ich kann mir auch wieder nur eine Vorstellung von ihrer Vorstellung machen.

Sehr kritische LeserInnen könnten jetzt zurecht anmerken dass ich ja hier auch ständig irgendetwas behaupte, was ich so gesehen nicht wissen kann. Andererseits: wenn ich jeden Satz anfangen würde mit »Aufgrund verschiedener Sinneseindrücke, die mir die Annahme nahelegen es könnte vielleicht sinnvoll sein davon auszugehen und unter der Voraussetzung, dass Sie aufgrund Ihrer Sinneseindrücke und Schlussfolgerungen ebenfalls zu der Annahme kommen dass…« — spätestens an dieser Stelle hätten Sie vermutlich aufgehört weiter zu lesen. Wenn wir uns austauschen und dabei nicht in Verwirrung oder Streit geraten macht es einfach mehr Sinn anzunehmen, dass wir die gleiche Vorstellung der Dinge haben. Oder anders ausgedrückt: wir können von einem eher nützlichen Missverständnis ausgehen.

Eine gute Diagnose kann ein solches nützliches Missverständnis sein. Meinem Hund Ronja ist es egal warum sie Gliederschmerzen hat. Für sie macht es keinen Unterschied zu wissen, dass das kommt, wenn sie — was sie selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt extrem gerne tut — in die Weser springt. Sie legt sich an die Heizung, leidet, eventuell interpretiere ich ihre kummervollen Blicke als Vorwurf warum ich ihr nicht helfe — und wartet ab ob sie durch- oder umkommt. Ronja kann unglaublich leiden. Aber es interessiert sie nicht warum. Wir Menschen sind da anders. Für uns ist es ungeheuer, ja manchmal fast existentiell wichtig zu wissen warum etwas ist wie es ist. Nach dem Motto:

»Lieber ein erklärbares Unglück als ein unerklärliches Glück!«

In der Reha gab es die soge­nannten psycho­eduka­tiven oder Indika­tions­gruppen. Hier konnte man etwas über das Störungs- oder Krank­heits­bild lernen dessent­wegen man die Probleme hat die man hat. Diese Grup­pen waren zuge­schnitten auf Patient­Innen mit Angst-, Border­line-, Depres­sions-, Trauma­folge- oder Ess­störungen. Man lernte etwas darüber wie es zu der jewei­ligen Störung gekom­men ist und was man da­gegen tun kann. Niemand hat ein­deutig nur ein Störungs­bild, es gibt große Schnitt­mengen zwischen den verschie­denen Diagnosen. Deshalb wechselt man nach einer Weile in der Regel auch die Gruppe, um das Problem aus einem neuen Blick­winkel zu sehen und um andere Bewä­ltigungs­strate­gien zu lernen.

Zu wissen was ich warum habe und was ich dagegen tun kann ist oftmals schon ein großer Schritt auf dem Weg der Heilung. Nichts ist für Menschen so wichtig wie das Gefühl, die Kontrolle über eine beunruhigende Situation zu haben. Selbst die Erkenntnis nichts tun zu können kann Erleichterung bedeuten. Man bleibt sich selbst und seiner Umgebung keine Lösung schuldig, wenn es keine Lösung gibt.

Fortsetzung folgt …

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