Den Gefährten und Gefährtinnen meiner Heilungsreise gewidmet,
die morgens in die Kälte mussten

In der Klinik gab es die sogenannte Morgenschiene — um 6.15h mit anderen vermummt-verschlafenen Gestalten lostraben zum Sammelpunkt fürs Joggen oder Walken im Kurpark. Mit Hin- und Zurücklaufen eine Stunde bei jedem Wetter — außer bei Glatteis.

Ich war vom Frühsport befreit. Das war möglich weil ich beim Aufnahmegespräch von meiner Therapeutin — hieß: Case-Managerin! — weder in der Kategorie »depressiv« noch in der Kategorie »Morgenmuffel« einsortiert worden war. Ich hatte mich als Hundebesitzerin und mit dem Wunsch geoutet, während meines Aufenthalts morgens vor dem Frühstück Yoga machen zu dürfen. Genehmigt.

Nach einer Weile fand ich es viel lustiger morgens im Dunkeln bei offenem Fenster zu tanzen. Meine Laune war anschließend evident besser als nach 20 Minuten Gruß-an-die-Sonne, von der Anfang November um die Tageszeit ohnehin noch nichts zu sehen war.

In den letzten beide Wochen der Reha nahmen wir, deren Abreise bevorstand an sogenannten Transfer-Gruppen teil. Es ging darum, was man — last minute quasi — noch bearbeiten und vor allem, was man zuhause an nützlichen Verhaltensweisen beibehalten möchte. Also ich fand das mit dem Tanzen morgens gleich nach der ersten Tasse Tee eine feine Sache. Zu Beibehaltungszwecken geeignet, sozusagen.

Nützliche Vorsätze soll man innerhalb von 72 Stunden realisieren, sonst ist die Chance groß dass nichts draus wird. Hab ich dort auch gelernt. Meine Kinder waren zu Besuch. Vorgestern war dann der erste Morgen an dem ich allein war. Also war heute der letzte Tag innerhalb der 72 Stunden. Das Problem war der Hund. Ronja singt nicht nur mit wenn ich singe, sondern auch wenn sie einfach so Musik hört, die ihr gefällt. Es klingt wie wenn ein einsamer Wolf nach seinem Rudel heult. Dabei unterscheidet sie deutlich, ob es sich um hohe oder tiefe, fröhliche oder eher getragene Stücke handelt. Wenn ich auf dem Klavier die lustige »Forelle« von Schubert spiele klingt es hell und fast fröhlich …lalalaaaa… aus ihrer schwarzen Kehle, ist es das traurige »Gretchen am Spinnrad« mischt sie sich eine Oktave tiefer mit ein. Kommt — so oder so — morgens um 7 mit mehreren Parteien im Haus nicht wirklich gut.

Normalerweise besteche ich sie nicht. Sie soll einfach machen was ich ihr sage und basta. Aber hier hatten wir es mit einem hard core-Problem zu tun und das erfordert besondere Maßnahmen. Nach einer sportlichen Morgenrunde vor unserem Frühstück musste sie sich auf ihren Platz legen und ich spielte so leise Musik, dass sie sie zwar hören aber sich gerade noch beherrschen konnte. Unsicherer Blick in meine Richtung. Leckerchen. Musik bisschen lauter. Leise, kehlige Töne. Drohender Blick meinerseits. Verstummen. Leckerchen. Noch bisschen lauter (schon halbe Lautstärken-Reglerstrecke auf dem iPad). Sehr zweifelnder Hundblick. Leckerchen. U.s.w. u.s.w. … Das haben wir jetzt zwei Tage lang geübt.

Heute morgen konnte ich tanzen…

KrippenidylleHeute abend haben wir dann »Ich steh‘ an deiner Krippen hier…« zusammen gesungen. Da war die Welt wieder in Ordnung. ;-)