Vor eineinhalb Jahren riss bei mir ein Faden. Der Faden, der die Verbindung zu dem Teil in mir war der wusste, was ich will, möchte, mag oder nicht mag, wonach ich mich sehne, was ich mir wünsche, für die Zukunft vorstelle. Einfach gerissen.

Angefangen hatte es eigentlich schon zwei Jahre vorher, als ich mit meinem roten Citroën-Floh auf einer Nebenstraße unterwegs war und mir selber dabei zusah, wie ich ohne zu bremsen auf die Hauptstraße zu fuhr, auf der von links ein anderes Auto kam. Ich wusste dass ich anhalten sollte, aber das Wissen löste keinerlei Handlungsimpuls aus. Irgendwie war ich vollkommen ruhig und rollte einfach weiter, bis das andere Auto meine Flanke touchierte und mich zum Stehen brachte. Schock, Schleudertrauma, das ältere Ehepaar mit der kleinen Enkelin aus dem anderen Auto waren sehr nett und besorgter um mich als um ihr Auto — später eine Anzeige wegen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, eine beachtliche Geldstrafe, Punkte in Flensburg, der Floh Totalschaden.

Deutliche Manifestation eines fortgeschrittenen burn out. Jedoch war es zum Runterfahren oder gar Innehalten zu spät — und zugleich noch zu früh. Seit knapp einem Jahr tanzte ich Tango argentino, und am Tag nach dem Unfall fuhr ich mit Freunden zu einem kleinen Festival im Harz. Vormittags, nachmittags, abends, nachts Tanzen bis zum Umfallen. Während der ersten beiden Tage war mir ab und zu noch schwindelig und ich hatte manchmal das Gefühl, irgendwie neben mir zu stehen. Aber die letzten beiden Tage bestanden nur aus Tango. Wieder zuhause war ich erleichtert über die heilsamen Kraft dieses Tanzes.

Vor mir lagen Wochen mit einem anspruchsvollen Projekt. Als Motto für die Bewerbungs­dokumentation hatte ich ein Zitat des Hl.Augustinus gewählt: »In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.«. In den letzten zwei Jahren hatte ich es mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit »maximaler Integrationsferne « in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu tun gehabt. Mein Kollege, mit dem ich die »aufsuchende Aktivierung« unserer zukünftigen Teilnehmer machte, hatte wegen einer Knieverletzung nach einem Fallschirmsprung über Bosnien den Dauslandsdienst in robusten Einsätzen verlassen müssen und war mit seinen beiden jagdlich geführten Hunden, seiner unerschütterlichen Freundlichkeit, seiner Erfahrung als Box- und outdoor-Trainer und seiner unüberhörbaren Stimme ein Fels in der Brandung. Sein Motto: »Wer Soldaten ausbilden will muss Soldaten lieben«. Er liebte unsere Teilnehmer, auch angesichts an den Füßen festgewachsener Socken, Mädels deren Erscheinen im Projekt wir mit ihren gewaltbereiten Zuhältern diskutieren mussten, Wohnungen in denen uns 2 Schäferhunde stellten und die ein einzige Katzen- und Hundklo zu sein schien, Gestalten, die wir m Sofa locken mussten, das sie tagsüber zum Schlafen und nachts zum Zocken im Internet benutzten und eher selten zu verlassen schienen. Wenn sie im Internat angekommen waren und als aktive Teilnehmer galten hatte wir zwei Drittel unserer Arbeit gemacht. Ich war für die konzeptionelle (Weiter-)Entwicklung und Dokumentation des Projekts, die Einführung des Qualitätsmanagements und für die Pädagogische Begleitung der Teilnehmer zuständig.

Abends und am Wochenende tanzte ich. Ich habe mal ausgerechnet, dass ich auf meinen 8cm hohen Tanzschuhen etwas 15 km in der Woche rückwärts lief. Und tagsüber lief ich im Hamsterrad. Ich fühlte mich immer erschöpfter, teilnahmsloser und mutloser.

wird fortgesetzt …

4-Phasen-Modell