Ich kann nicht brüllen wie ein Löwe, dafür aber wie ein Bierkutscher auf zwei Fingern pfeifen. Das mache ich, wenn mein Hund Ronja außer Sichtweite ist. Sie kommt dann sofort angeschossen. Früher gab es ab und zu mal eine Belohnung, wenn sie kam. Ihr Gedächtnis ist eher kurz und deshalb hat sie das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, weil sie längst vergessen hat wobei ich sie gestört habe, ich dafür aber einen zufriedenen Eindruck mache, weil sie vor mir steht.
Meine Söhne haben ein langes Gedächtnis und sind eher nicht zufrieden wenn sie mein Pfeifen hören, auch wenn es nur dem Hund gilt. Obwohl beide schon älter sind als ich es war, als ich Mutter wurde, springt offenbar in ihnen immer noch ein kleiner Junge vom Spielen auf weil er das Gefühl hat, es ist fünf vor — wenn nicht sogar schon fünf nach — zwölf.
Ich bin Mutter. Mutter-von-Söhnen, um genau zu sein. Mutter-von-Töchtern ist, glaube ich, anders. Man muss dünnbeinige Plastikpferde mit grüner Mähne und überhaupt sehr viel Rosa mögen und Spitzensöckchen und viel reden und wenig entscheiden, das findet sich dann, während ich schon in meinem ersten Jahr als Mutter-von-Sohn unter den Drei-, Zwei- und Einwortsätzen litt, die ich der zielführenden Kommunikation wegen lernen und anwenden müsste. Meine älteste Schulfreundin — wir kennen uns seit 44 Jahren — hat zwei Töchter, jeweils zwei Jahre jünger als meine Söhne, und wir fanden es immer wieder erstaunlich dass das Repertoire, das sich im Umgang mit den eigenen Kindern als geeignet für eher nützliche Missverständnisse herauskristallisiert hatte, für die Freundin im Umgang mit ihren Kindern eher weniger nützlich war. Vielleicht schreibe ich später mal etwas mehr zu diesem Thema. Bis dahin empfehle ich das nebenstehende Buch. Es liest sich spannend wie ein Krimi.
Wenige Tage nach mir wurden unsere beiden Katzen Mutter. Sie brachten jeweils vier schwarze Wollknäule zur Welt. Offenbar war Momo, unser riesiger, fast schwarzer Karthäuserkater der Vater. Wully — warum sie den Spitznamen unseres Lieblingsklavierlehrers am Gymnasium bekommen hatte, der nebenbei Pianist bei einem der bekanntesten Kölner Kabaretts war, weiß ich nicht mehr, unser pianistisch begabter Kater Chopin, von dem später die Rede sein wird, entstammt auch nicht Wullys Blutlinie — Wully also war überfordert mit dem ganzen Gewusel und schlich sich regelmäßig davon, um sich auf dem Balkon in die Sonne zu legen. Mirka, eine strenge und zuweilen etwas nervöse schwarzweiße Dame mit der Ausstrahlung einer Chefsekretärin-mit-Nackenknoten fand das nicht in Ordnung und schleppte nach und nach auch Wullys Junge in den hohen Wäschekorb, in dem sie schon ihr eigenes Nest gebaut hatte. (Auf dem Foto sieht man den Korb meines Babys). Dann legte sie sich dazu und säugte alle acht Katzenbabys. Nach vier Wochen war sie nur noch Haut und Knochen.
Jetzt kam Wullys große Stunde. Im Gegensatz zu Mirka konnte sie spielen und jagen. Gegen deren verzweifelten Widerstand holte sie ein Junges nach dem anderen aus dem Wäschekorbturm, spielte mit ihnen als wären es Mäuse und scheuchte sie zunächst durch die Wohnung und bald auch den Efeu an der Seite des Balkons hinauf und hinunter. Unter ihrer Anleitung lernten alle acht Wollknäule, an Wänden, Gardinen, Menschenbeinen mit und ohne Stoff dran, Tischdecken, Blumenvasen und allem was nicht perfekt glatt war hoch, runter, rein und — meist — auch wieder raus zu klettern. Wir retteten sie aus dem Klavier, der Kloschüssel, dem Kühlschrank, einem Hohlraum im Fußboden, den sie durch ein Loch im Boden des Seitenschranks gefunden hatten, in dem normalerweise die hohen Schiebetüren unseres Amsterdamer Wohnzimmers verschwanden; und aus einer elegant geschwungenen Jugendstilvase, die dabei leider zu Bruch ging.
Babys aus dem Nest einer Erstlings-Katzenmutter haben es nicht immer leicht, es sei denn sie werden — wie bei uns — in ein Rudel hineingeboren. Nichts hätte ich mir in den ersten beiden Jahren meiner Mutterschaft mehr gewünscht als ein Mütter-Rudel zur gelegentlichen Arbeitsteilung. Oder einfach nur zum mehr-als-zwei-Stunden-am-Stück-schlafen-können. Mein Kind schlief auch nachts nur zwei Stunden am Stück und war dann putzmunter. Es hatte sich offenbar nicht vorgenommen Zeit zu verlieren oder irgendwen zu langweilen. Als er 19 Monate alt war, kam ich zu einem neuen Kinderarzt, der als erstes sagte: »Sie sehen aus, als ob Sie sich von Ihrem Kind den Schlaf rauben lassen. Das sollten Sie sofort abstellen.« Er sah mein Zweifeln und empfahl, wenn ich ihn nicht schreien lassen könne, solle ich für ein paar Tage bei Nachbarn schlafen. In der nächsten Nacht schlief er neun Stunden hintereinander.
Einige Monate später krähte er mitten in der Nacht, hörte aber genau in dem Moment auf als ich seufzend meine Füße in die Hausschuhe neben meinem Bett schob. Am nächsten Morgen fand ich ihn wie ein Igel zusammengerollt in einer Ecke seines völlig nassen Bettchens. Über seinem zwei mal zwei Meter winzigen Amsterdamer Hinterhauszimmerchen hatten die Studenten über uns ihre Küche, ausgestattet mit einer nachträglich aufgestellten Dusche, deren Abfluss sich von der Spüle gelöst und ihren Inhalt durch die Holzdecke in das Bett meines Sohnes vergossen hatte. Er fand das nicht schlimm sondern erklärte strahlend: »Regnet!« …