Für Sabine und Tuomas
meine (fast) ältesten Freunde

Dawid, der als kleiner Kerl von unseren französischen Freunden »la petite motte« – kleine Motte* genannt wurde, hatte wieder so einen üblen Atemwegsinfekt. Weil wir sicher sein wollten, dass auch der Medizinmann zu unserem makrobiotisch-vollwertig-naturbelassenen Lebenskonzept mit selbstgebackenem Brot aus selbstgemahlenem Demeter-Getreide, Babykleidung aus unbehandelter, naturgefärbter Wolle und Seide, Tragetuch und Baby-Massage nach Leboyer passte, waren wir dem Rat meines Alexander-Technik-Lehrers gefolgt und hatten uns für einen anthroposophischen Hausarzt entschieden. Der hatte Urlaub.
*die Geschichte, wie die kleine Motte zu ihrem Spitznamen kam, steht hier …

Sein Vertreter sah, nachdem ich mich gesetzt hatte, nicht das Kind an, sondern sagte gleich nach der Begrüßung: »Sie sehen aus, als würden Sie nachts Ihr Kind noch neben sich am Bett haben. Damit sollten Sie sofort aufhören…« Ob er eine Idee hätte, wie ich es anstellen könnte, dass er alleine und länger schläft, wollte ich natürlich wissen. Seine Empfehlung: »Sagen Sie ihm, dass ihm nichts passieren kann, weil Sie gut auf ihn aufpassen. Falls er Sie trotzdem weckt, würden nur die Nachbarn kommen, Sie würden bis morgens weiterschlafen.« In der darauffolgenden Nacht schlief er neun Stunden. Zornig, hatte ich das Gefühl, nach dem Motto: »Wenn Du Dich nicht kümmerst, dann schlaf ich mich halt weg.« Kuckst Du …

Blick über die Terrasse aufs Thuner Schloss…

Über Weihnachten besuchten wir Freunde in Thun im Berner Oberland. Sie ist Flötistin und kommt von einem der größten Bauernhöfe der deutschsprachigen Schweiz, er ist Finne, Flötist, Fagottist und im Nebenberuf Hausmann. Wir hatten uns auf unserer ersten Ausstellung als »Atelier für historischen Blockflötenbau« beim Alte Musik Festival in Herne kennengelernt.

Sabine’s Kochbuch mit Tuomas‘ Rezepten

Gotte Sabine – Schweizerdeutsch für Patentante – hütete uns mit Hingabe und teilte ihren reichen Erfahrungsschatz als mehrfache und berufstätige Mutter mit mir, während Tuomas uns mit dem wunderbaren Duft seines fast täglich selbstgebackenen Brots und mediterraner und schweizer Küche verwöhnte.

Tuomas Rezept für finnischen Pilzsalat

Und sie waren sehr erfahrene Eltern, ihre drei Kinder sind jeweils dreizehn Monate auseinander und mein ältester Sohn kam genau 13 Monate nach dem jüngsten der Freunde zur Welt. Abends aßen wir Erwachsenen immer erst die köstlichen Kreationen bei einem gepflegten Wein, wenn die Kinder – früh! – im Bett waren. Nach meinem ersten Besuch dort übernahm ich diese Übung und verteidigte das Recht auf ein erwachsenes Leben am Ende des Tages während meiner gesamten Elternzeit!!

…als Jüngster bei Gotte Sabine…

Ich war immer sehr beeindruckt, dass die drei zwei, drei und vier Jahre alten Kinder nachts durchschliefen und auch während einer zweistündigen Siesta schliefen oder in ihren Bettchen spielten, sodass Tuomas und Sabine üben oder unterrichten konnten. Mein Sohn dachte allerdings nicht daran, diese Kulturtechnik zu erlernen, geschweige denn umzusetzen. Also war ich die ganze Mittagszeit über damit beschäftigt, ihn ruhig zu halten.

Musikzimmer mit einer Denner-Alt von Hans Schimmel

Eines Tages musste meine Freundin doch etwas gehört haben. Mit einer dramatischen Schimpftirade stürmte sie in mein Zimmer, nahm meinen Sohn hoch und machte die beeindruckendste Ansage, die er in seinem kurzen Leben bis dahin zu hören bekommen hatte: Seine Mama sei bei ihnen zu Gast und in ihrem Hause dürften mittags alle Gäste in Ruhe schlafen. Falls er das nicht zu respektieren wünsche, könne er gerne im Untergeschoss in der Sauna schlafen, dort würde er niemanden stören. Er war wie vom Donner gerührt, schlief auf der Stelle ein und bis zum nächsten Morgen durch.

Meine Freundin erzählte mir, dass ihre Mutter, die fünf Kinder großgezogen hat, der festen Überzeugung sei, dass Kinder nicht ein- und durchschlafen, wenn sie aufgrund von Schlafmangel zu müde für diese Leistung sind. Bisschen paradox aber irgendwie auch logisch. Jedenfalls hätte sie ihren Kindern von Anfang an beigebracht, dass die Welt untergeht, wenn sie sie gehört hätte.  …

Sabine in ihrem Atelier und Element…

Als ihre Kinder klein waren nutzte sie die kostbare freie Zeit oft auch zum Nähen. Meine Kinder trugen fast nur ihre schönen, strapazierfähigen Kindersachen aus Stoffen, die sie von ihren Konzertreisen aus Finnland, Paris oder Moskau mitgebracht hatte. Heute ist sie eine Künstlerin und kreiert und näht wunderbare Konzertroben und stattet ganze Theaterstücke mit Kostümen aus. Unvorstellbar!

Eine amerikanische Erstlingsmutter in Paris …

Übrigens gibt es ein schönes Buch zu diesem Thema aus der Perspektive einer Amerikanerin, die in Paris Mutter wird …

Brotzeit mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau…

Inzwischen sind Tuomas und Sabine schon mehrfache Großeltern und meine Geschichte von der kleinen Motte, die schlafen lernte, ist längst erzählt. Aber ich kann nicht unerwähnt lassen, dass ich immer noch sehr gerne – und viel zu selten – zu diesen großartigen Künstlern und Lebenskünstlern fahre. Unser Deal heute: ich lese aus meinem Blog vor, während Sabine näht …

Und wenn Dir dieser Artikel gefällt oder wenn Du mehr über resiliente Eltern-Kind-Beziehungen oder über meine Reisen in die Schweiz erfahren möchtest, dann schicke mir eine M@il oder schreib einfach unter diesen Artikel einen Kommentar … :-D