Dies ist mein blog. Bis ich mich entschlossen habe das Wort blog zu verwenden habe ich lange und gründlich und keinesfalls abschließend darüber nachgedacht. Meistens gehe ich bei solchen Überlegungen mit dem Hund. Gerne auch nachts bei Laternen- oder Mondschein. Aber das schreibe ich jetzt nur, damit das Bild sozusagen einen Hintergrund bekommt. Natürlich denke ich auch tagsüber nach, an der Weser zum Beispiel oder wenn ich am Marktplatz einen Kaffee trinke. Aber zur Sache …

Denken heißt für mich, seit ich mir dessen bewusst bin, schreiben. Irgendwann entdeckte ich, dass andere Leute innere Monologe oder Dialoge führen, dass sie »Kopfkino« haben oder sogar Selbstgespräche führen, wenn sie alleine sind, während ich sozusagen im Kopf schreibe. Diesen blog schreibe ich schon seit Monaten. Aber ich fand keinen Anfang. Man kann ja nicht einfach drauflos schreiben. Der erste Satz in einem neuen Buch hat mich immer fasziniert. Oftmals, wenn ich das Buch ausgelesen hatte habe ich noch einmal den Anfang gelesen, den ersten Satz, den ersten Abschnitt . Ich erinnerte mich an das Gefühl, die Bilder, die Erwartungen, die dieser erste Satz beim ersten Lesen in mir erzeugt hatte; ich empfand alles noch einmal, das Pure alles dessen was noch nicht stattgefunden hatte und noch möglich war, und es fügte sich zu dem satten Gefühl, wenn die Geschichte, der Roman, der Krimi zuende waren.

kw_lesen_swIch bin — könnte man sagen — durch Literatur verdorben. Bücher waren in meiner Sozialisation mindestens so wichtig wie … ja wie was. Wie Essen, vielleicht. Guter Vergleich, irgendwie wie essen. Ich habe sie sozusagen in mich verwandelt. »Delphinen­sommer« von Katherine Allfrey war mein erstes Buch. Ich war erst mit knapp sieben Jahren in die Schule gekommen. Beim Schul­reife­test hatte ich auf unser Haus kein Dach und keinen Schorn­stein gemalt. Unser altes Haus hatte ein richtiges Dach gehabt, ich hatte es oft gemalt, ich malte gerne und leidenschaftlich viel. Unser neues Haus hatte ein flaches Dach und keine Kohleöfen mehr. Also war mein Schultest­bildhaus flach und ohne Schornstein und ich noch nicht schulreif.

Aber ein Jahr später zu Ostern durfte ich dann endlich in die Schule gehen und in den Sommer­ferien war ich bei Tante Karin zu Besuch. In der Kirchen­bibliothek, wo ich saß wenn sie auf der Orgel ihre Lieder für den kommenden Sonntag übte fand ich das Buch. Es gefiel mir wegen des Einbandes. Ich durfte es mitnehmen und daheim auf Tante Karins Sofa benutzte ich es zunächst zum Buchstabieren. Als ich bei der dritten Seite angekommen war begriff ich plötzlich, dass ich las.
Delphinensommer1964 Das was ich mir vorbuch­stabierte machte Bilder in meinem Kopf, die Buch­staben­reihen wurden Wörter die ich verstand — seit der Geburt meines jüngeren Bruders vor dreieinhalb Jahren war dies das erste große Wunder: ich konnte lesen. Es war wie fliegen können. Ich konnte mich an den Flossen meines Delphins festhalten und mit ihm durchs Wasser schießen, Faune treffen, auf einem Zentaur reiten, mit den Pans­kindern tanzen — zwischen den Delphinen und den mythischen Wesen auf der fernen griechischen Insel war ich nicht mehr einsam, ich schlüpfte in den Körper und das Leben von Andrula und wurde, so lange ich las, zu einem Kind mit einem geheimen, fröhlichen Alltag, ich hatte in Evan­gelista eine sanfte, melancholische und liebevolle Mutter, die mir meine Freiheit ließ, wenn ich meine kleinen Pflichten erfüllt hatte … Als die Witwe Evan­gelista einen Fischer heiratete und die kleine Andrula stolz mit ihrem neuen Vater, der sie und ihre Mutter wieder zu einer respektablen Familie machte, fortzog, blieb ich zurück und nahm ihren Platz ein bei den Delphinen, Faunen und Panskindern.

rote-zoraZwei oder drei Jahre später war die »Rote Zora« für lange Zeit mein eigentliches Ich. Die Inseln Krk und Rab an der jugoslawischen Adriaküste waren für mich näher als die Nachbarstadt. Mehr als zehn Jahre, bevor ich begann gegen Fahr­preis­erhöhungen, Atom­kraft­werke und Bomben­abwurf­felder zu demonstrieren — und noch einmal fünf Jahre mehr bevor ich mein Lehrerstudium abbrach und nach Amsterdam ging weil mir klar wurde, dass ich wegen der vielen Verfassungsschutzfotos, auf denen ich abgelichtet worden war niemals verbeamtet werden würde — hatte sich die Keimzelle für mein späteres Gespür für entwürdigende Armut, Ungleich­heit, für Solidarität und gerechten Zorn im Körper und in den Abenteuern dieses wilden, zornigen, rothaarigen Mädchens entwickelt…

kw_GrischkaIn der Stadtbücherei legte mir die Bibliothekarin später immer die neuesten Bücher von Serien oder Themen, von denen sie wusste oder annahm, dass sie mich interessierten, unter den Tresen statt ins Regal, so dass ich sie als Erste lesen konnte. Ich las 1000 Seiten in der Woche und kein Buch stand länger als eine Woche auf meiner Ausleihkarte. Neben der Schule war die Bücherei der wichtigste Ort in meiner jugendlichen Welt. Von René Guillot habe ich nur die Geschichten über den sibirischen Jungen Grischka gelesen. Mich hatte eine Ahnung von etwas Neuem gestreift, das ich viele Jahre später als Spiritualität der Nordamerikanischen Indianer wiederfand. Aber in dieser frühen Lesezeit erzeugte es lediglich eine neue Qualität. Fortan gab es, ohne dass ich das ausdrücklich gedacht hätte zwei Kategorien von Büchern: die, die ich nur las um etwas zum Lesen zu haben und die, in denen ich lebte.

Irgendwie bin ich vom Thema abgekommen. Eigentlich wollte ich ja erzählen, warum es mir so schwer fiel mich zu entscheiden, ob mein blog ein blog ist; oder ein frei zugängliches Buch im Netz; oder ein Tagebuch, ein Journal … Ein Tagebuch schreibt man für sich selbst. Ich konnte nie Tagebuch schreiben. Es fühlte sich immer ein bisschen peinlich an wenn ich das, was ich geschrieben hatte später noch einmal las. Ein Journal ist etwas Journalistisches, ich bin kein Journalist. Und für ein Buch fehlt mir das Konzept.

... mit Dank an © Michal

… mit Dank an © Michal …

Also habe ich mich für eine vorläufige, für eine bis-auf-weiteres-Lösung entschieden, ich werde das Wort blog benutzen und es kursiv schreiben. In Blog schwingt etwas von Logbuch mit. Und das Wort Logbuch verbinde ich mit Segelschiffen, wochen- oder monatelangen Seereisen auf Weltmeeren, Schiffbruch, einsame Insel, die Kapitänskiste mit dem Logbuch hat den Schiffbruch überlebt und wurde auch an den Strand der einsamen Insel gespült … so schließt sich der Kreis.

Ja, in diesem Sinne: Herzlich willkommen auf meinem blog! … weiterlesen …